Die Musik besitzt im Alevitentum eine überaus wichtige Funktion. Eine Cem-Zeremonie ohne Musik ist unvorstellbar und für die Ausübung der religiösen Pflichten unverzichtbar, so z. B. der Semah-Tanz.
Für viele Aleviten gilt die auf dem Instrument „Baglama“ gespielte Musik als eine göttliche Offenbarung. Ohne dieses Instrument hätte das Alevitentum womöglich eine fundamental andere Entwicklung eingeschlagen. Musik schafft eine hypnotische Atmosphäre, durch sie kann das Individuum einen spirituellen Einblick, eine Erkenntnis erlangen. Nicht nur die „Dedes“ (alevitische Geistliche) inspirieren ihre Gemeinde durch vorgetragene Lieder, sondern ebenso der „Asik“ (auch Zakir genannt) und „Ozan“ (Volksmusiker). Asik heißt soviel wie „der vorbehaltlos Liebende“ und ist eine Bezeichnung, die die Beziehung des Musikers zu Gott zum Ausdruck bringt. Mit ihren Klängen und teilweise religiösen Textinhalten über Ali, Schah Ismail, Pir Sultan Abdal etc. drücken sie ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt aus, teilen mit anderen das Leid, das sie durch die Staatsmacht erleiden mussten oder müssen, und können den alevitischen Glauben an die nächste Generation mündlich weitervermitteln.
Viele ihrer Lieder scheinen die Sorgen der Aleviten widerzuspiegeln. Im Augenblick des Zuhörens vereinen sich Mensch und Musik. Gerne hören sich ältere Aleviten im geselligen Kreis die traurigen Lieder an und weinen gemeinsam. Dieses kollektive Trauern ist eine typisch alevitische Bewältigung ihrer Situation und eint die Menschen, es führt zur Erfahrung von Transzendenz. Der „Asik“ (arab. aschiq, „der Liebende“) von heute singt und spielt mit seinem Instrument Baglama nicht mehr wie früher auf dem Dorfplatz, sondern ist vielmehr in Musikcafés anzutreffen. Es ist die alevitische Musik, die die Gemeinschaft im Ganzen zusammenhält, ihr ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt und dem Individuum zur Identitätsbildung verhilft. Die Musik verleiht dem Alevitentum eine gewisse Mystik, aus der viele Aleviten ihre Kraft schöpfen.